Hohenloher Tagblatt

Artikel im Hohenloher Tagblatt
„Die Pute ist bei uns in den
besten Händen“

02.03.2023

Die Pläne von Minister Özdemir bereiten vielen Putenhaltern Sorgen.
Sabine Preuß, Chefin der Wallhausener Putenbrüterei, bezieht Stellung. Von Gottfried Mahling

Werden Puten in Deutschland unter schlechten Tierschutz-Bedingungen gehalten? Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundestagsabgeordneter Harald Ebner aus Kirchberg sind davon überzeugt. Die beiden Grünen- Politiker setzen sich dafür ein, dass die Besatzdichte in deutschen Ställen deutlich sinkt.
Sabine Preuß widerspricht. Aus Sicht der Geschäftsführerin der einzigen Putenbrüterei in Süddeutschland würde eine Umsetzung von Özdemirs Plänen viele Putenhalter ruinieren. Die 45-Jährige plädiert für einheitliche europäische Regeln und ist überzeugt: Die hierzulande bereits geltenden Vorgaben tragen dem Tierschutz sehr wohl Rechnung.

Derzeit gibt es in Deutschland keine verbindlichen Regeln für die Putenhaltung, sagte Harald Ebner Mitte Februar gegenüber unserer Zeitung. Hat er recht?
Sabine Preuß: Herr Ebner und Herr Özdemir vermitteln zu Unrecht den Eindruck, dass Putenhaltung in Deutschland in einem rechtsfreien Raum geschieht, dass jeder machen kann, was er möchte. Oft wird behauptet, dass die Puten zu eng stehen, leiden, krank sind und alles nicht kontrolliert wird.
Da muss ich entschieden widersprechen. Wir haben die bundeseinheitlichen Eckwerte, die 1999 entstanden sind und 2013 nochmals im Sinne der Puten verbessert wurden.
Auch Tierschutzorganisationen haben daran mitgewirkt. Die betreuenden Tierärzte und die Amtsveterinäre orientieren sich und überprüfen die Haltung anhand dieser Vorgaben.
Bei Nichteinhaltung der geforderten Haltungsbedingungen muss der Betrieb seine Besatzdichte reduzieren. Die Pute ist bei uns also in den besten Händen.

Sind diese Eckwerte wirklich verpflichtend?
Sie haben rechtsähnlichen Charakter. Es handelt sich um eine Selbstverpflichtung, nach der die Putenhaltung in der Realität flächendeckend gelebt und praktiziert wird.
Sie enthält Vorgaben zu einer Vielzahl an Haltungs- bedingungen – Besatzdichte,
Einstreuqualität, wie gefüttert, getränkt, gelüftet und mit kranken Tieren umgegangen werden muss, welche Sachkunde- anforderungen es gibt und vieles mehr. Dass es – wie Herr Ebner meint – in Deutschland keine verbindlichen Regeln gibt, stimmt einfach nicht.
Ich habe ihn übrigens zu einer Besichtigung unserer Brüterei eingeladen – er hat zugesagt.

58 Kilo pro Quadratmeter bei Hähnen und 52 Kilo bei Hennen sehen die Eckwerte als maximale Besatzdichte in Deutschland vor. Glauben Sie nicht, dass die Tiere leiden, wenn sie so eng stehen?
Man kann es sehr leicht überprüfen, wenn man sich einen Stall von innen anschaut. Stehen dort vitale Puten, die sich aufplustern, die natürliches Verhalten zeigen, gurren, balzen oder neugierig sind, dann fühlen sich die Tiere wohl. Das ist bei unseren Besatzdichten absolut gegeben. Zumal die Pute von Natur aus ein gewisses Herdenverhalten zeigt, und gerne in geschlossenen Verbänden zusammensteht. Mein Bruder, der selbst Putenhalter ist, hat sogar die Erfahrung gemacht, dass bei geringerer Besatzdichte manche Probleme eher auftreten können. Ist mehr Platz, können schwächere Puten von stärkeren Artgenossen eher attackiert werden.

 

 

Harald Ebner sagt, dass nicht nur der Tierschutz, sondern auch die Landwirte von Özdemirs Gesetzesinitiative profitieren würden ...
Ich sehe das anders. Wenn uns das Ausland den Markt abnimmt, dann profitieren die deutschen Putenhalter überhaupt nicht.

Wie meinen Sie das?
Deutschland ist in Europa eines der Länder mit den strengsten Vorgaben in der Putenhaltung. Die Hauptkonkurrenz aus Polen, Frankreich, Spanien, Italien oder Ungarn hat deutlich weniger strenge oder gar keine Regeln. Was in Deutschland passieren würde, zeigt das Beispiel Österreich. Auf Tierschützer-Initiative wurde dort 2015 die Besatzdichte auf 40 Kilo reduziert. Der österreichische Markt spielt seitdem keine Rolle mehr in Europa. Was dort in der Gastronomie oder Kantinen verzehrt und angeboten wird, kommt nun zu über 90 Prozent aus dem Ausland. Und zwar größtenteils aus Betrieben mit geringen Tierwohl-Standards. Schärfere Tierschutzregeln in Deutschland sorgen also unter dem Strich für weniger Tierschutz – weil die kaum regulierte Konkurrenz aus dem Ausland dann mehr produziert und in den deutschen Markt drängt.

Würden in Deutschland tatsächlich so viele Betriebe schließen, wenn die Besatzdichte ebenfalls auf 40 Kilo pro Quadratmeter reduziert würde?
Davon bin ich überzeugt. Derzeit haben wir beim Putenfleisch noch eine Selbstversorgungsrate von 80 Prozent. Würden Özdemirs Pläne umgesetzt, würde die Rate um 30 Prozent sinken. In Österreich ist das heimische Putenbrustfleisch im Vergleich zu ausländischer Ware pro Kilo um sechs Euro teurer. Wer soll das kaufen? Wir möchten überleben können – mit Regionalität und Fairness.

Stichwort Fairness: Warum bringt die EU bei der Putenhaltung keine einheitlichen europäischen Regeln auf den Weg?
Ich war vor Kurzem mit anderen Branchenvertretern in Brüssel. Wir haben erfahren, dass die Europäische Kommission das Thema auf der Agenda hat – aber erst 2024. Es wird deshalb schwierig, der von Cem Özdemir geplanten nationalen Regelung zuvorzukommen. Wenn Deutschland jetzt vorprescht, gibt es kein Zurück mehr. Viele Putenhalter werden ihre Betriebe aufgeben. Die Strukturen und das Know-how wären dann verloren. Einheitliche europäische Regeln wären die gerechteste
Lösung. Unsere deutschen Eckwerte könnten eine gute Grundlage dafür sein.